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Durch-Haus

Iris Hanousek-Mader

ISBN: 978-3-85252-412-2
21 x 15 cm, 192 S., m. Abb.: Duplexdr., Hardcover
22,00 €
Lieferbar

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Kurzbeschreibung

[Hrsg. vom Evangelischen Diakoniewerk Gallneukirchen, Iris Hanousek-Mader.]


Leben in der Wahlheimat, einem Wohnhaus im Diakoniewerk für Frauen mit Behinderung, heißt Veränderung und das Verfolgen von bewegten Zielen, die manchmal erreicht, aber sehr oft verworfen wurden, um einen neuen Weg zu suchen.
Die Sehnsucht nach Geborgenheit und Liebe, nach Familie und dem Angenommen werden, sind Themen, die das Leben der Erzählerinnen bestimmen und Motor für ihre perönlichen Entwicklungen waren und sind.
Die Geschichten wurden von allen Frauen selbst verfasst oder in Interviewform auf Tonband aufgenommen und zeitlich geordnet niedergeschrieben.


Persönliche Geschichte

Ich stand auf der Terrasse unseres Hauses und schaute die Schulstraße hinunter. Von der Ferne dröhnten Kettengeräusche, die unaufhörlich näher kamen. Der Boden vibrierte und brachte meine Füße zum Zittern, obwohl ich auf der Garage stand. Der Himmel war weiß, wie so oft hier im Mühlviertel. Ich schaute in die Richtung der Kirchturmuhr, mit ihren schwarzen riesigen Zeigern, die mir kleinem Mädchen scheinheilige Ruhe und Geborgenheit vermittelten. Damals erkannte ich, als Sechsjährige, noch nicht den Sinn, warum österreichische Panzer durch Gallneukirchen fuhren und meine Tante Inge heulend am Küchentisch saß. Sie beklagte sich bei meiner Mutter, dass sie nicht weiß, wie es ihrem Sohn Karli, der erst seit einigen Wochen beim Militär war, erginge. Das Militär hätte eine Nachrichtensperre verhängt und ihr Sohn durfte sich bei ihr nicht melden. Die Nachbarn jammerten, die Russen würden Prag besetzen. Meine Mutter kam besorgt nach Hause und erzählte, sie habe Tschechoslowaken am »Paulieck« getroffen. Sie hörten Kofferradio und weinten und schrien, dass sie jetzt nicht mehr in ihre Heimat könnten. Die Ungewissheit unseres Schicksals lag wie der Mühlviertler Novembernebel über Gallneukirchen und seinen Bewohnern.
Jetzt, Jahrzehnte später, wo Dank Gorbatschow der Eiserne Vorhang zwischen Freistadt und Wullowitz beseitigt wurde, entstehen ganz heimlich und leise wieder andere Zäune in den Köpfen, unsichtbare, aber spürbare.
Was mein Leben 1968 bewegte, ist heute Geschichte. Mehr nicht – ein paar Sätze in einem Lexikon, befreit vom Konglomerat an Erlebtem, Bildern, Gerüchen sowie Gefühlen. Dennoch ist nichts lehrreicher als persönlich Überliefertes – nichts lehrreicher als Mundgeschichte.
In Gallneukirchen, meinem kleinen Heimatort, gab es viele Gerüchte und Geschichten, die von Mund zu Mund gereicht wurden: heimliche Liebesangelegenheiten, Familientragödien, Nachbarstreitigkeiten, Eifersüchteleien, die Besatzungszeit der Russen und vieles mehr. Worüber aber niemand redete oder zu sprechen wagte, waren Geschichten über die Häuser des Diakoniewerkes und vor allem über deren Bewohnerinnen. Es war ein weißer Erzählfleck auf der Gallneukirchner Mundgeschichtenkarte. Auch in den Sechziger Jahren, der Zeit meiner Kinderstube, war es noch immer unangenehm, wenn man über die behinderten Menschen sprach. Ein Erwachsener machte sich in der dörflichen Gesprächsrunde verdächtig, wenn er sich zu sehr für diese Menschen interessierte. Sofort wurde gemunkelt, es könnten persönliche Gründe für dieses Interesse ausschlaggebend sein. Kaum war diese Möglichkeit angedacht, begann schon jemand aus der Runde Gruselgeschichten über die Leute in den Bauernhöfen am Berg zu erzählen. Da lägen sie mit riesigen Wasserköpfen und stießen Schreie aus wie Tiere. Ich hörte, dass diese geheimnisvollen Wesen bedauernswerte arme Geschöpfe seien, die von den diakonischen Schwestern aufopfernd gepflegt würden. So habe ich damals – ein von Erwachsenen verängstigtes Kind – in meiner Phantasie Schreckensbilder entwickelt.
Jetzt wo ich gerne mit diesen Menschen aus dem Diakoniewerk arbeite und einen großen Teil meines Lebens mit ihnen verbringe und ihre Qualitäten sowie Talente lieben und schätzen gelernt habe, kann ich über diese Gruselgeschichten lachen. Je länger ich mit den dort lebenden Menschen gearbeitet habe, desto näher fühlte ich mich ihnen und konnte bald an ihren inneren Bilderwelten und Gefühlen teilhaben. Sie lehrten mich mehr Authentizität im kreativen Ausdruck und Offenheit in der Kulturarbeit.
Die Zeiten für die Gallneukirchner haben sich geändert – Gott sei Dank – auch zum Vorteil für die Bewohnerinnen des Diakoniewerkes und ihrer Mitarbeiterinnen. Viele Einheimische aus Gallneukirchen, die sich in früheren Zeiten aus Informationsmangel verschlossen haben, öffnen sich. Lange Zeit war dies ein leiser, kaum merkbarer Prozess. Jetzt aber ist er deutlich spürbar und ein Beweis für die Lernbereitschaft der Menschen in dieser Stadt …

(Iris Hanousek-Mader)




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