Meisterschule Maximilian Melcher
Oliver Bentz, Maximilian Melcher , Wolfgang Stifter , Philip Szikszay
ISBN: 978-3-99126-109-4
28,5×24 cm, 296 Seiten, zahlr. S/W- u. farb. Abb., Hardcover
35,00 €
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Kurzbeschreibung
Das vorliegende Buch dokumentiert anschaulich die großen Leistungen, die der gutvernetzte künstlerische Einzelgänger Melcher trotz seiner biographisch-psychologischen Belastungen für die Entwicklung der österreichischen Kunst jahrzehntelang kontinuierlich erbrachte – für jedermann offensichtlich in der Ausbildung mehrerer international höchst erfolgreicher neuer Künstlergenerationen an der Wiener Akademie, aber auch diskret im Hintergrund über sein persönliches, teils sehr einflussreiches Netzwerk, zum Nutzen vieler junger Künstlerinnen und Künstler, die er konsequent förderte.
(Matthias Boeckl)
[artedition · Verlag Bibliothek der Provinz]
[Oliver Bentz / Wolfgang Stifter / Philip Szikszay (Hg.)
unter Mitarbeit von Semirah Heilingsetzer, Georg Lebzelter, Linde Waber und zahlreichen Melcher-Schülerinnen und -Schülern]
Rezensionen
Oliver Bentz: Ein Lehrer für GenerationenVier Jahrzehnte unterrichtete Maximilian Melcher an der Akademie der bildenden Künste – am 28. August wäre er 100 geworden.
Wie kaum ein anderer Pädagoge vor und nach ihm prägte Maximilian Melcher als langjähriger Leiter der Meisterklasse für Grafik Studentengenerationen von werdenden Künstlern an der Wiener Akademie der bildenden Künste. Sein eigenes künstlerisches Werk stellte der Maler und Graphiker dabei zeitlebens weitgehend in den Hintergrund. Vor 100 Jahren, am 28. August 1922, wurde der unkonventionelle und heute legendäre Lehrer in Krottendorf bei Weiz in der Steiermark geboren.
„Maximilian Melcher erweist sich – hinsichtlich seines Bekanntheitsgrades – als bemerkenswertes Phänomen. Kein Kunsterzieher oder Diplomgraphiker, der in den letzten Jahrzehnten die Wiener Akademie der bildenden Künste am Schillerplatz besuchte, entging Melchers strenger Hand. Die Zahl seiner Schüler ist unübersehbar. Doch gibt es deshalb eine in Stil und Technik einheitliche Melcher-Schule? (…) Bei ihm haben Phantasten und Neue Wilde studiert, haben zarte Aquarellisten, feinsinnige, in allen technischen Künsten versierte Druckgraphiker und spontane Zeichner ihr Handwerk erlernt. Niemals versuchte Melcher, eigene formale Vorstellungen seinen Schülern zu oktroyieren, dafür zwang er sie zu harter Arbeit, zur ehrlichen, handwerklichen Auseinandersetzung, zur Suche nach dem eigenen Talent. Darin liegt Melchers Stärke als Lehrer.“
Was Wolfgang Hilger, der ehemalige Kunstreferent der Kulturabteilung der Stadt Wien, hier in seinem Beitrag in einem – anlässlich einer der seltenen Ausstellungen von eigenen Werken Maximilian Melchers im Niederösterreichischen Landesmuseum in Wien – 1982 erschienenen Katalog über den Künstler konstatiert, hat auch vierzig Jahre später nichts von seiner Gültigkeit verloren.
Am Schillerplatz
Fast vier Jahrzehnte wirkte Maximilian Melcher als Lehrer an der Wiener Akademie der bildenden Künste. Bereits 1955 kehrte er, der 1952 sein Diplom mit einem Passions-Zyklus von Radierungen an der Akademie abgelegt hatte, als Lehrender in das Haus am Schillerplatz zurück. Bis 1967 arbeitete er als Lehrbeauftragter, Assistent und Supplent (Aushilfslehrer), bevor er 1967 in der Nachfolge von Christian Ludwig Martin zum Professor für Graphik berufen wurde. Von 1972 bis 1976 sowie von 1984 bis 1987 hatte er das Amt des Rektors inne. 1992 wurde Melcher nach fast 40 Jahren der Lehrtätigkeit emeritiert.
„Je weniger ich für mich gearbeitet habe, umso besser sind die Studenten geworden. Das hat mich sehr viel gekostet. Das Um und Auf in diesem Geschäft ist: Derjenige, der rauskommt, muss besser sein als ich, und die guten Leute sind besser geworden.“ Dieser einmal von ihm geäußerten Maxime fühlte sich der Lehrer Melcher zeit seines Lebens verpflichtet.
So ermöglichte er Generationen von Studenten – darunter heute so renommierte Künstler wie Siegfried Anzinger, Manfred Deix, Tone Fink, Richard Kriesche, Peter Pongratz, Gottfried Salzmann, Meina Schellander, Hubert Schmalix, Rudolf Schönwald, Wolfgang Stifter, Linde Waber, Robert Zeppl-Sperl oder Gunter Damisch (der 1992 Nachfolger seines Lehrers an der Akademie wurde) – das Arbeiten, künstlerische Forschen und Lernen in einer Atmosphäre, in der es nicht um Anpassung oder Nachahmung des Lehrers ging, sondern in der die freie Entwicklung und Erprobung des künstlerischen Individuums im Mittelpunkt stand. In der Klasse von Maximilian Melcher, erinnert sich Wolfgang Mantl, war der „schaffensreiche und inspirierende Fokus d[es] Grundrecht[s] auf Kunstfreiheit in der Tat realisiert, noch ehe es in der Verfassung verankert war“.
Experimente
Sein eigenes künstlerisches Werk, das ihn als hervorragenden Graphiker und meisterhaften Radierer ausweist, stellte Maximilian Melcher während seiner Lehrtätigkeit nie in den Vordergrund. So hält sich die Anzahl von Melchers Ausstellungen in seiner Zeit als Akademielehrer in engen Grenzen und die meisten seiner ehemaligen Schüler können sich nicht erinnern, je ein graphisches Blatt aus der Hand Melchers in der Akademie gesehen zu haben. Und trotzdem schuf er über die Jahrzehnte ein kaum überschaubares Œuvre an Gemälden, Graphiken und besonders an Druckgraphiken (Radierungen, Lithographien und Holzschnitte). Diese erschienen jedoch in den seltensten Fällen in Auflagendrucken. Vielmehr verstand Melcher seine graphische Arbeit als Experiment.
An einer Platte arbeitete er so lange herum, schuf Zustands- und Probedrucke, bis er mit dem Ergebnis zufrieden war – und verlor dann gleich das Interesse am jeweiligen Motiv. So können fast alle seiner druckgraphischen Blätter als unikate Originale betrachtet werden. „Melcher nützt die Druckgraphik“, schreibt Matthias Boeckl im Katalog zu einer Retrospektiv-Ausstellung Melchers in der Akademie der bildenden Künste in Wien Anfang der 1990er Jahre, „nicht in ihrer eigentlichen Funktion als Reproduktionsmittel, sondern als Experimentiermedium, wo die technischen Widerstände als Herausforderung aufgefaßt werden, deren Überwindung künstlerische Kreativität freisetzt und im Ergebnis aufsaugt.“
In großer Zahl schuf Maximilian Melcher über die Jahrzehnte auch graphische Blätter, besonders Radierungen, in denen er sich mit dem eigenen Bildnis auseinandersetzte. In diesen tritt er dem Betrachter meist mit prüfendem Blick gegenüber und legt sein Inneres mit großer Ehrlichkeit offen. Seine Selbstbildnisse sind daher nicht stolze Rechenschaft, sondern Zeugnis und Überprüfung seines eigenen Seins und Arbeitens. Meisterhaft beherrscht der Künstler die Lichtführung, konstruiert kontrastierende Hell-Dunkel-Bereiche und modelliert mit Hilfe raffiniert komponierter Strichlagen das Bildnis plastisch aus der Platte heraus.
„Die sinnloseste und absurdeste aller Tätigkeiten ist die künstlerische“, schrieb Melcher, der manische Arbeiter, der oft schon am Morgen um fünf Uhr in der Akademie war, einmal über sein Metier. „Um der scheinbaren Sinnlosigkeit der Existenz Sinn zu geben, um in bildnerischer Tätigkeit etwas festzuhalten, wo alles zwischen den Fingern zerrinnt (…), kann man dagegensetzen. Seine eigene Wirklichkeit schaffen, um darin geborgen zu sein, um die andere, schale abgegriffene Wirklichkeit angreifen zu können, um zu kämpfen, gegen sich, die anderen, gegen die Windmühlen, zu gewinnen, zu verlieren, stark und schwach zu sein in einem. Stärke bewundern aus eigener Schwäche, Schwäche verstehen aus eigener Stärke. Menschlich sein, allzumenschlich sein müssen, Flügel haben, doch mit beiden Füßen angenagelt sein, leben und überleben müssen.“
Nach einer Ausbildung an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien begann Maximilian Melcher 1940 ein Studium der Graphik bei Christian Ludwig Martin, in dessen Meisterklasse er nach Jahren des Kriegsdienstes und der Kriegsgefangenschaft 1948 zurückkehrte. Und es waren besonders die Erfahrungen des Krieges und der Gefangenschaft in Russland, die in Melchers eigenes, von einer kantigen und doch zurückhaltenden Handschrift gekennzeichnetes Werk Eingang fanden und Spuren hinterließen.
Mit „Erinnerungsarbeit“ bezeichnet Matthias Boeckl die Konstante in Melchers künstlerischem Œuvre. Und zwar im Sinne einer aus der Erinnerung erarbeiteten und aufgearbeiteten Biographie. So ist es bei Melcher immer das „Naheliegende und ihn selbst betreffende, das ihn interessiert, seine Weinkeusche in der Steiermark, die Weinberge, die Tiere, das eigene Antlitz, seine Kinder, bedrohlich wirkende Traumlandschaften. Von der Radierung über die Aquarelle (…) besetzt Melcher mit seiner Arbeit ein Feld, das im Grunde von der selbstpostulierten Funktion als ‚Ankläger und Meinungsbildner‘ weit entfernt und eher als nachdenkliches Selbstreflexions- und Erinnerungsmedium zu bezeichnen ist. Der einsiedlerische Dialog in der Werkstätte mit dem Material und den Erinnerungen schafft eine sehr spezifische Mischung aus technisch brillanten und inhaltlich melancholischen Werken.“
Stiller Arbeiter
Was ihn bewegte und aufwühlte, was er mitteilen und erklären wollte, hat Maximilian Melcher mit Pinsel und Stift aufs Papier gebracht oder dem Lithostein, der Radierplatte und dem hölzernen Druckstock anvertraut. In den marktschreierischen Kunstbetrieb hat er sich damit nicht geworfen, sondern von seiner Kunst besessen an dieser gearbeitet. Beim großen G’schäft, das im Bereich der Druckgraphik von den 1960er bis in die 1980er Jahre florierte und diese Kunstgattung lange Zeit diskreditierte, dabei zu sein, war seine Sache nicht. Vielmehr hat er in aller Stille mit seiner eigenwilligen Haltung ein graphisches Werk geschaffen, dessen Betrachtung sich durchaus lohnt.
„Seine Kraft“, sagte sein Nachfolger Gunter Damisch im Jahr 2002 anlässlich des Todes von Maximilian Melcher, „scheint er vor allem den jungen Künstlerinnen und Künstlern und der Institution Akademie der bildenden Künste gegeben zu haben; es würde mich allerdings nicht wundern, wenn mit der Zeit von seinen eigenen Arbeiten mehr zu sehen sein und mehr davon gehalten wird, als es heute der Fall ist.“
Zusammen mit seinen Mitherausgebern Wolfgang Stifter und Philip Szikszay arbeitet der Autor dieses Beitrages seit mehreren Jahren an einem Buchprojekt, in dessen Rahmen sich viele Künstler, die im Laufe der Jahrzehnte bei Maximilian Melcher studierten, in Texten und Interviews an ihre „Melcher-Zeit“ erinnern. Unter dem Titel „Meisterschule Max Melcher“ wird der reich illustrierte Band, der nicht nur einen umfassenden Einblick in Melchers Wirken an der Akademie der Künste gibt, sondern auch ein wenig bekanntes Kapitel der Wiener Nachkriegs-Kunstgeschichte beleuchtet, Ende des Jahres im Verlag Bibliothek der Provinz erscheinen. Im Wiener Künstlerhaus wird das Buch am 15. Dezember 2022, um 18.00 Uhr, erstmals vorgestellt werden.
(Oliver Bentz in der Wiener Zeitung vom 27. August 2022, S. 36)
https://www.tagblatt-wienerzeitung.at/nachrichten/kultur/kunst/2159082-Ein-Lehrer-fuer-Generationen.html