Martin Staufner – Fahrt ins Blaue
Bildgeschichte
Martin Staufner
ISBN: 978-3-99126-250-3
30,5×24,5 cm, 144 Seiten, zahlr. farb. Abb., Hardcover
€ 38,00 €
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Kurzbeschreibung
Martin Staufner sitzt in seinem Atelier und liest das Buch „Über Fotografie“ von Susan Sontag. Darin zitiert sie Berenice Abbott: „… wird das Heute zum Gestern.“ Er erinnert sich an ein altes Fotoalbum, das lange unbeachtet in einer Schachtel liegt, mit Bildern, deren Geschichten längst vergessen sind. So beginnt er, mit den einzelnen Fotos eine Bildgeschichte zu erfinden. Es sind Fotos aus dem Arbeitermilieu der 1920er Jahre bis Anfang der 1960er Jahre. Fotos wie es sie zu Tausenden gibt. Sie zeigen den Mittelpunkt eines Lebens ohne die große Weltpolitik. In die Geschichte der alten Fotos mischt sich der Schaffensprozess des Künstlers. Die bildnerischen und philosophischen Fragen und Zweifel im einsamen Arbeitsalltag des Künstlers im Atelier ergeben in tagebuchartigen Notizen und Zeichnungen einen zweiten autofiktionalen Erzählstrang.
„Im raum-zeitlichen Gesamtkunstwerk des Malerbuches ist dadurch der Leser-Betrachter („lecteur spectateur“) nicht passiver Rezipient, sondern aktiver, in seinen imaginativen und assoziativen Fähigkeiten geforderter Mit-Schöpfer.“ (M. Müller: Das Französische Malerbuch im 20. Jahrhundert, München 2007)
[artedition · Verlag Bibliothek der Provinz]
Rezensionen
Gregor Auenhammer: Fragmentarisch & filigranDas vermeintlich Wichtige ist, meist als Abbild des Unbewussten und Unterbewussten, Topos dessen, war wir fotografieren. Das vermeintlich Wichtige hat naturgemäß rein subjektiven Charakter. Situationselastisch, würde man heute sagen, beschreibt ein Fotoalbum oft „ein halbes Leben“. Nun, dieser Tage, wenn Fotos digital am Handy erstellt, gespeichert, verworfen und vergessen werden, geht auch oft das kollektive Gedächtnis verloren. Als Modifikation einer artifiziellen Schubumkehr könnte man insofern Fahrt ins Blaue von Martin Staufner interpretieren. Grundlage seiner aktuellen Arbeit war das in grünbraunes Leinen gebundene Familienalbum seines Vaters. Staufner, Jahrgang 1964, hatte das Buch mit den Erinnerungen seiner Ahnen lange vergessen, bis er es anno 2020 in einer Schachtel wiederfand. Befremdlich erschienen ihm manche Fotografien aus den 1930ern, vor allem den dunklen 1940er-Jahren. Menschen in Wehrmachtsuniformen bevölkerten als Geister die beklebten Seiten. Aussparungen und Leerstellen kamen hinzu. Was geschieht posthum mit dem vermeintlich Wichtigen? Staufner unternahm eine Reise ins Innere der Memorabilien, fügte der Historie neue Geschichten hinzu. Das Erfundene ist eine Melange aus vergilbten Fotos, Zeichnungen, Notizen, Textfragmenten, Zitaten von Susan Sontag, Bert Brecht, Camus, Abbott. Mittels Übermalung, Collage und Frottage entstand ein neues Werk, eine Art „autodidaktisches Künstlertagebuch“. Im Kontext von Raum und Zwischenraum erfährt das Wesen des Profanen seine Beachtung. Das kollektive Gedächtnis fusioniert das Persönliche mit dem Allgemeinen. Das Ergebnis ist eine vielschichtige Meditation über das Wesentliche im Leben.
(Gregor Auenhammer, Rezension im Standard-„Album“ vom 16. Dezember 2023, S. A7)
Maria Kolb: [Rezension]
Ein Fotoalbum, das war eine Dokumentation des Lebens zu einer Zeit, als Fotos zu machen, mit Aufwand verbunden war. Die Kamera war kein selbstverständlicher Begleiter des Alltags, man musste sich über Filme und ihre Ausarbeitung Gedanken machen, und dann auch entscheiden, wie man die Fotos bewahrt. Ein Album war ein gängiger Weg, die heute gängigen Fotobücher noch nicht erfunden. So finden sich heute in vielen Nachlässen Alben voller Erinnerungen an eine Vergangenheit, deren Geschichten längst in Vergessenheit geraten sind.
Kunst. Martin Staufner hat das Familienalbum seines Vaters zum Ausgangspunkt einer künstlerischen Arbeit gemacht. Entstanden ist ein spannendes Buchprojekt, das zeigt, wie sich Fotografien aus dem ursprünglich rein privaten Kontext in eine neue Form fassen lassen. Auswahl, Veränderung und die Einbindung in die künstlerische Arbeit Staufners sind Teil eines privaten und künstlerischen Forschens, ergänzt und bereichert durch Textfragmente.
Familienforschung. Die so entstehende Spurensuche ist rein künstlerisch geprägt. Das Familienalbum wird zur Basis einer neuen, vielschichtigen künstlerischen Arbeit des in Bad Schallerbach lebenden Künstlers. Es geht weder um historische Familienforschung, noch um das Aufdecken von wie auch immer gearteten Geheimnissen, so es diese überhaupt gibt. Im Mittelpunkt steht immer die Faszination, die von diesem Album ausgeht. Sie wird bei aller künstlerischen Transformation gewahrt. Entstanden ist eine faszinierende Arbeit, die den Wert der Erinnerung in einen neuen Kontext stellt.
(Maria Kolb, Rezension in: Kulturbericht Oberösterreich. Monatsschrift der OÖ Kultur, 78. Jahrgang, Folge 01/02 – Jänner/Februar 2024, S. 25)